Das Thema Bildung wird von Parteien immer wieder zu Wahlkampfzwecken missbraucht - und der Schulfrieden gestört. In einem Gastbeitrag fordert Jost de Jager einen parteiunabhängigen Konsens.
Kiel. Dem Vorbild Nordrhein-Westfalen folgend gibt es immer wieder Anläufe, hier in Schleswig-Holstein eine Übereinkunft über die wesentlichen bildungspolitischen Strukturfragen für die nächsten Jahre zu treffen. Antriebsfeder dafür ist die wachsende Überzeugung, dass ständige Veränderungen an den Schulstrukturen die Qualität der schulischen Arbeit eher behindern als befördern. Denn Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern sind durch die vielen Reformversuche der vergangenen Jahre und Jahrzehnte inzwischen verunsichert.
Auch nach der Wahl und mit einer neuen Landesregierung gilt: Schleswig-Holstein braucht diesen Konsens in der Schulpolitik dringender als je zuvor. Er ist die Grundlage für gute Schule. Der bisherige Bildungsdialog der Landesregierung bietet keine Grundlage für einen solchen Konsens, weder inhaltlich noch methodisch.
Signal an alle Parteien
Die CDU streckt die Hand für einen ernst gemeinten Schulfrieden aus: Wir sind zu einem umfassenden Konsens bereit und wollen dazu beitragen. Dieses Signal sende ich an alle Parteien.
Voraussetzung dafür ist, dass die CDU als größte politische Kraft im Land die Themen eines solchen Schulfriedens mitbestimmen kann. Niemand kann erwarten, dass wir uns auf Teile einigen, wenn wir das Große und Ganze nicht sehen. Ein Schulfrieden ist ja kein Sägen an Puzzleteilen, sondern das Malen eines gesamten Bildes. Darum müssen aus meiner Sicht alle wichtigen schulpolitischen Fragen auf den Tisch. Dazu gehören die Zukunft von Gemeinschaftsschulen und Gymnasien, der Erhalt der Lehrerausbildung und die Verbesserung der Bildungsqualität.
Kritik an Landesregierung
Es ist unser ernst gemeintes Ziel, einen Schulfrieden für ein Jahrzehnt zu erreichen. Ich meine, wir sollten in Schleswig Holstein ehrgeiziger sein, als der bisherige Bildungsdialog es ist.
Ich freue mich über die Bereitschaft der vielen an Schule Beteiligten, dass sie an der Bildungskonferenz aktiv mitmachen. Aber alle Bildungskonferenzen - und seien sie noch so gut gemeint - können die grundlegenden schulischen Strukturfragen nicht lösen. Fragen zur Schulstruktur müssen zwischen den politischen Entscheidungsträgern geklärt werden. Erst dann können die Konferenzen ihre Arbeit leisten. Die Landesregierung hat hier leider den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht.
Selbst entscheiden
Es ist aber nicht zu spät. Denn in den Grundfragen des Schulsystems ist eine dauerhafte Verständigung kein Quantensprung mehr. Alle entscheidenden politischen Kräfte unterstützen oder akzeptieren inzwischen ein zweigliedriges Schulsystem aus Gymnasien auf der einen und Regional- und Gemeinschaftsschulen auf der anderen Seite. Die Unterschiede zwischen diesen Schulformen sind in der alltäglichen Schulpraxis überschaubar. Grundlegende Fragen dazu werden also nicht mehr diskutiert. Wir wollen allerdings, dass dies auch so bleibt und die Schulen vor Ort darüber entscheiden können, wie sie ihre Schule mit welchen Abschlüssen gestalten wollen.
Kontraproduktiv wäre es, wenn die Landesregierung den Schulen von oben vorschreiben will, dass es keine abschlussbezogenen Klassenverbände mehr geben darf. Damit würde sie in die Schulen hineinregieren und ideologische Vorstellungen von gemeinsamen und differenzierten Unterrichtsformen über die Entscheidungskompetenz der Schulpraktiker stellen. Wir richten unser Augenmerk in diesem Zusammenhang da rum besonders auf die Gymnasien mit Regionalschulteil.
Faires Nebeneinander
Zu den wichtigen Themen gehört aus meiner Sicht auch das Verhältnis von G8 zu G9 in diesem Land. Ein faires Nebeneinander kann nur dann gleichberechtigt funktionieren, wenn die Bedingungen für G8 besser werden. Wir wollen G8, weil wir glauben, dass es gesellschaftlich richtig ist. Hier muss es nun weitere Bemühungen geben, wenn wir nicht wollen, dass Schülerinnen und Schüler den neunjährigen Bildungsgang wählen, weil sie vor den Bedingungen des achtjährigen fliehen.
Zu klären ist auch, wie viele Parallelangebote von Oberstufen an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen es geben kann. Zum einen kommen wir ohnehin zu immer einheitlicheren Standards der Abiturprüfungen, zum anderen dürfen immer neue gymnasiale Oberstufen nicht die Existenz der bestehenden Oberstufen gefährden. Da macht eine stärkere Kooperation von Gymnasien und beruflichen Gymnasien mit Gemeinschafts-/Regionalschulen im Hinblick auf die Oberstufen Sinn.
Verbesserte Lehrerausbildung
Auf den Tisch müssen auch Themen zur Steigerung der Bildungsqualität und zu den zukünftigen Inhalten. Die jüngste Studie zu den Kompetenzen von Kindern nach vier Jahren Grundschule zeigt deutlich, dass es offenbar Anlass gibt, umfassend über die Qualität unserer Bildungsangebote nachzudenken. Denn die schleswig-holsteinischen Grundschulkinder liegen im Ländervergleich beim Lesen und Rechnen nur im unteren Mittelfeld. Das zeigt: Das von der Landesregierung präferierte gemeinsame Lernen schafft allein für sich genommen noch keine höhere Bildungsqualität. In der Grundschule wird ja gemeinsam gelernt. Vielmehr gehört auch die Leistungsgerechtigkeit wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt. Zudem müssen wir eine Anpassung der Lerninhalte an die zwischen den Bundesländern vereinbarten Bildungsstandards erreichen. Der erste Schritt bezieht sich auf die Abiturprüfungen. Damit erreichen wir ein vergleichbares Abitur in allen Bundesländern. In einem zweiten Schritt muss es dann um die Vergleichbarkeit der Abschlüsse anderer Schularten gehen. Das ist schon lange überfällig.
Zentrales Thema eines Bildungskonsenses muss auch die Lehrerbildung sein. Ein grundlegendes Konzept für eine verbesserte Lehrerausbildung liegt bereits auf dem Tisch und muss von der Landesregierung nur umgesetzt werden. Die Vorgabe einer Stufenlehrerausbildung ist nicht konsensfähig. Stattdessen ist der Erhalt des gymnasialen Bildungsganges in seiner Besonderheit zwingend, und das heißt mit einer eigenen Lehrerausbildung.
Parteiunabhängiger schulpolitischer Konsens
All dies sind Themen, die es jetzt zu lösen gilt. Sie gehören mit zu einem langjährigen und parteiunabhängigen schulpolitischen Konsens. Über diese Klippe muss die Regierungskoalition springen, um einen echten Schulfrieden zu ermöglichen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir uns mit einem solchen Schulfrieden schnell wieder auf die Kernaufgaben guter Bildungspolitik konzentrieren können: Für optimale Lernbedingungen in den Schulen zu sorgen. Voraussetzung dafür ist ein großer Konsens, der von den großen gesellschaftlichen Kräften, von den Parteien und Fraktionen getragen wird. Die Bereitschaft der CDU dafür besteht.
Gastbeitrag von Jost de Jager, Landesvorsitzender der CDU Schleswig-Holstein in der Zeitung "Schleswig-Holstein am Sonntag" am 28.10.2012
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